Die Buchbinder: HÜTER UNSERER GESCHICHTE

Woher kommt das Wissen der heutigen Zeit?

18.05.2022 | in Buchbinder

Zu einem großen Teil aus Schriften und Büchern vergangener Jahrhunderte. Sie bewahren es bis in unsere Gegenwart und darüber hinaus. Dass sie uns zum Beispiel erzählen können, von wem die Steiermark ihren Namen hat, verdanken wir allerdings den Buchbindern.

 

Das Vermächtnis

Wir schreiben das Jahr 2021. Gudrit Sixl ist gerade umgeben von ihrer großen Leidenschaft: von tausenden alten Büchern & Schriften. Die Buchbinderin und Buchrestauratorin begutachtet gerade ein Urbar* der Pfarre Gratwein aus dem Jahre 1487. Auf die Frage, ob man so ein altes, zerfledertes Werk überhaupt angreifen dürfe, schmunzelt sie und räumt ein: „Diese Bücher sind hunderte Jahre durch ebenso viele Hände gegangen. Das halten die meisten schon aus. Nur bei wenigen Werken muss man aus verschiedenen Gründen Schutzhandschuhe tragen.“ Als Buchbinder arbeitet man also nur manchmal mit sterilen Handschuhen.
 
Man berührt das Buch. Lässt sich davon berühren, ergreifen und faszinieren. Und ab diesem Zeitpunkt wird auch Gudrit Teil der Geschichte dieses Buches. Ein geschriebenes Werk, das 1487 in den Händen eines Mönches entstanden ist. Wir befinden uns im Archiv des weltältesten Zisterzienserklosters Stift Rein. Damals waren es die Adeligen und Mönche, die schreiben konnten und für die Nachwelt wesentliche Aufzeichnungen festhielten: Geburtenregistrierungen, Totenbücher, Getreidelieferungen, gerichtliche Prozesse und Urteilssprüche, Steuerabgaben, Karteisysteme für die damaligen Handwerksberufe und vieles mehr. Historische Berichterstattungen, auf welche im Laufe der Zeit immer wieder zugegriffen wird. Selbst heute nutzen Menschen oft noch die Möglichkeit in den uralten Seiten zu blättern, um Ahnenforschung zu betreiben.
 

Geschichtserhaltendes Handwerk

Das vorliegende Urbar aus dem 15. Jahrhundert wird Gudrit nun mitnehmen und mit Sorgfalt von Grund auf restaurieren. „Das Um & Auf ist das Reinigen des Buches von Staub und Mikro-Organismen“, erklärt uns die Buchrestauratorin. Es kommt immer wieder vor, dass kleine Bewohner in diese in die Jahre gekommenen Wälzer eingezogen sind. Von Schimmel über Bücherläusen bis hin zu Silberfischen, sowie Papierfischen.

Und der Bücherwurm, der für Gudrit schon auch mal eine Liebesbotschaft hinterlassen hat: „Ich habe mal ein Buch restauriert, in das der Wurm ein Loch in perfekter Herzform hineingefressen hatte.“

Nach der Reinigung und einer Bestandsaufnahme geht es ans Ergänzen. Fehlende Ecken werden wieder vollständig, Löcher gestopft und der Einband ist nach der Bearbeitung durch die Buchbinder wieder intakt: „Allerdings bleiben die Patina und die Gebrauchsspuren, die dem Buch nicht schaden, aber von seiner Geschichte erzählen können, erhalten. Ein Restaurator macht das Buch nicht wieder neu, sondern konserviert und erhält den jetzigen Zustand, wobei er darauf achtet, dass alles gefestigt und nichts verloren geht. Deshalb arbeiten wir mit Materialien, die zur jeweiligen Zeit passen“, erklärt die Buchrestauratorin. Um das so hinzubekommen, tüftelt Gudrit auch immer wieder an geeigneten Klebermischungen für die jeweilige Papier- oder Pergamentstruktur.

 

Seitenweise lückenloses Wissen

„Nur eines dürfen wir nicht“, fügt Gudrit Sixl hinzu: „Wir dürfen keine fehlenden Buchstaben ergänzen. Das wäre Urkundenfälschung und könnte auch die Historie   nachhaltig verklären.“ Ein fehlender Buchstabe bleibt eben für immer ein leerer Fleck in der Geschichte. Um das zu verhindern, arbeitet das Stift Rein durch Buchpatenschaften (siehe Infokasten) auf Hochtouren daran rechtzeitig zu retten, was sonst durch den Verfall auf ewig verschluckt würde.

Gudrit Sixl arbeitet hier eng mit Pater August Janisch zusammen, der gemeinsam mit Stiftsarchivar Pater David Zettl versucht die teils fast 900 Jahre alten Datenträger zu bewahren.

Rund 100.000 Objekte befinden sich in der Bibliothek und im Archiv. Natürlich wird mittlerweile auch eifrig digitalisiert und katalogisiert. Und trotzdem: ein Buch ist ein Buch. Etwas Handfestes. „Wir kommen in der Kulturgeschichte ganz zurück“, sagt Pater August stolz und demütig und zeigt uns ein Tintenrezept aus dem Jahre 1467, mit dem man heute nach wie vor seine Gedanken auf’s Blatt bringen kann.
 

Geschichte gut aufgehoben

Welche Institution kann schon von sich behaupten eine nahezu lückenlose Historie über interne, sowie regionale Verwaltung und Geschehnisse aufweisen zu können. Fast ein ganzes Jahrtausend an Aufzeichnungen erhalten zu haben. Und weil es in den alten Büchern auch so steht, wissen wir heute, dass noch zu Zeiten des heiligen Bernhard die Stiftung von Stift Rein durch Markgraf Leopold I. von Steyr erfolgte. Von ihm hat die Steiermark ihren Namen. Das würden wir jedoch niemals wissen, hätten die Mönche es damals nicht niedergeschrieben, die Buchbinder diese Seiten damals nicht gebunden und die Buchbinder & Buchrestauratoren der Neuzeit nicht stetig restauriert. Und wir hätten auch nie erfahren, dass in der freigelegten Grabstätte unter der Marienkapelle im Stift Rein der Leopold I. liegt und dort in Frieden ruhen kann, weil er weiß, dass seine Geschichte in guten Händen ist.


*Ein Urbar oder latinisiert Urbarium ist ein Verzeichnis über Besitzrechte einer Grundherrschaft und zu erbringende Leistungen ihrer Grunduntertanen. Es ist eine bedeutende Wirtschafts- und Rechtsquelle des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Lehnswesens.
 


 

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